"Ich habe mir immer eine andere Mutter gewünscht" Wie verschiedene Mutter-Typen unser Leben prägt
18.11.2025
In der psychologischen Arbeit mit Familien- und Generationsthemen fällt mir immer wieder eines auf: Wie sehr die Mutterrolle nicht nur in ihrer aktuellen Funktion wirkt – sondern als Echo vergangener Generationen, als Szenario, das sich wiederholt.
Wer war diese Mutter?
Welcher Typ war sie?
Welche Prägungen, Erfahrungen, Muster haben sie gebildet?
Und: Welche davon übernehmen wir – bewusst oder unbewusst – für uns selbst?
Herkunft, Prägung, Entstehung des Mutter-Typs
Die Mutter-Persönlichkeit wird nicht im Vakuum geboren. Vielmehr ist sie das Ergebnis einer
Lebensgeschichte: Kindheit, familiäre Herkunft, gesellschaftliche Erwartungen, eigene Emotionen und ungelöste Themen.
Einige typische Einflussfaktoren:- Wenn die eigene Mutter sehr streng und kontrollierend war – entsteht bei der Kindern vielleicht das Bedürfnis, „anders“ zu sein oder genau diese Strenge zu reproduzieren.
- Wenn die Mutter emotionale Mangel erlebt oder gezeigt hat (z. B. Vernachlässigung, wenig Wärme) – kann die nächste Generation entweder überfürsorglich werden oder scheuen vor Nähe.
- Familiäre Dynamiken wie Unsicherheit, Instabilität, finanzielle oder gesundheitliche Krisen wirken oft als unbewusste „Erziehungs-Grundlage“. Wenn in der Herkunftsfamilie z. B. das Gefühl von „Ich muss mich beweisen“ oder „Ich muss vorsorgen“ dominant war, zeigt sich das später in der Mutterrolle.
- Gesellschaftliche Konstrukte und Rollenbilder: „Die gute Mutter muss alles schaffen“, „Mutter sein heißt Opfer bringen“, etc. All das wirkt mit.
- Deshalb ist es wichtig zu verstehen: Wenn ich mit einer Mutterarbeite, arbeite ich nicht nur mit ihrem aktuellen Verhalten – ich blicke in ihre Geschichte und sehe, welches Überlebens-, Anpassungs- oder Widerstandsmuster hier aktiv war.
Typen von Müttern – Verhalten, Merkmale, Wirkung auf das Kind
Auf dem deutschsprachigen Raum wird häufig auf die klassischen Erziehungsstil-Typologien verwiesen (nach Diana Baumrind u. a.).
Im Rahmen meiner Praxis fokussiere ich etwas anders: nicht nur Stil, sondern Mutter-Rolle als Stellung in der Familie, Beziehung zur eigenen Mutter und zum Kind.
1) Die „Strenge Mutter“ (Autoritär)
Merkmale: Hohe Anforderungen, klare Regeln, wenig Flexibilität. Die Mutter übernimmt Kontrolle, zeigt wenige Emotionen und erwartet Gehorsam. Beispielhafte Aussage: „Ich sage dir, wie es läuft – du hast wenig Mitspracherecht.“
Entstehung: Oft selbst in einer Herkunftsfamilie erzogen worden, in der Kontrolle und Disziplin als Schutz dienten (z. B. unsichere Umwelt, finanzielle Not, starke Erwartungen). Vielleicht hatte sie wenig echte emotionale Sicherheit, hat aber gelernt: „Wenn ich streng bin, habe ich Kontrolle.“
Verhalten gegenüber dem Kind: Das Kind erlebt oft: Strukturen, wenig Diskussion, Fehler werden geahndet. Selbstständigkeit wird kaum gefördert.
Auswirkung auf das Kind: Geringere Fähigkeit zur autonomen Entscheidung, möglicherweise niedriges Selbstwertgefühl, Angst vor Fehlern.
Besonderheit: Im Erwachsenenalter kann das Kind (insbesondere Tochter) dieses Muster übernehmen – oder aktiv dagegen rebellieren und völlig gegen die Strenge gehen.
2) Die „Liebende, aber schwache Mutter“ (Permissiv)
Merkmale: Sehr viel Wärme, große Akzeptanz, kaum Grenzen oder konsequent geltende Regeln. Mutter möchte Freundin sein, Konflikte vermeiden.
Entstehung: Vielleicht selbst in einer streng-kontrollierenden Herkunft erlebt, und nun will sie „alles anders machen“. Oder vielleicht fehlte ihr Vorbild für Grenzen und Struktur.
Verhalten gegenüber dem Kind: Das Kind darf sehr viel, übernimmt früh Verantwortung. Regeln fehlen oder sind unklar.
Auswirkung auf das Kind: Schwierigkeiten mit Struktur, Grenzen, Frustrationstoleranz. Vielleicht Überforderung oder Orientierungslosigkeit.
Besonderheit: Als Erwachsene können die Kinder sich überfordert fühlen – entweder übernimmt sie Grenzenlosigkeit oder sucht radikal Struktur und Kontrolle.
3) Die „Ausgebrannte / Vernachlässigende Mutter“
Merkmale: Wenig emotionale Präsenz, wenig Interesse, wenige Forderungen. Mutter ist gebremst, vielleicht durch eigene Belastungen (Überforderung, Krankheit, Arbeit, Familiengeschichte).
Entstehung: Oft eigene traumatische Herkunft, permanente Überforderung, wenig Unterstützung – Mutter war „nur funktionieren“.
Verhalten gegenüber dem Kind: Das Kind bleibt oft auf sich gestellt, bekommt wenig Begleitung, bekommt kaum gespiegelt: „Ich sehe dich, ich fühle mit dir“.
Auswirkung auf das Kind: Gefühl der Unsicherheit, Bindungsschwäche, Suche nach Halt, später Neigung zu Mustern wie „Ich muss für mich selbst sorgen“, Schwierigkeiten Nähe zuzulassen.
Besonderheit: In der nächsten Generation kann vor allem eine Tochter diese Abwesenheit entweder nachholen wollen – wird übervorsorglich – oder sie wiederholt unbewusst.
4) Die „Ausgewogene Mutter“ (Autoritativ / Demokratisch)
Merkmale: Klare Struktur und Regeln, gleichzeitig emotionale Wärme, Dialog und Beteiligung des Kindes. Sie fördert Autonomie und übernimmt Verantwortung.
Entstehung: Oft eigener Hintergrund mit Erfahrung von Sicherheit, guter Bindung – oder bewusstes Reflektieren der Herkunft und Anstreben eines anderen Weges.
Verhalten gegenüber dem Kind: Das Kind weiß, was gilt, warum gilt – Regeln sind verständlich; die Mutter nimmt Gefühle wahr, ermutigt Mitgestaltung.
Auswirkung auf das Kind: Höheres Selbstwertgefühl, bessere soziale Kompetenz, stabilere Autonomie.
Besonderheit: Für viele Frauen ein Ideal – aber kein Automatismus. Auch diese Mutter braucht Reflexion.
Weitergabe und Übernahme – oder der Gegenkurs
Was viele meiner Klientinnen berichten: „Ich mache es anders als meine Mutter, – und trotzdem spüre ich, wie ich genau dieses Muster wiederhole. Warum?"
Weil nicht das Verhalten allein übergeben wird, sondern die dahinterliegende Emotion, das Überlebensmuster, die ungelöste Frage.
Zum Beispiel:
- Ein Kind der strengen Mutter schafft sich Freiheiten, setzt aber später selbst sehr hohe Ansprüche – weil die Selbstwert-Fragilität bleibt.
- Ein Kind der permissiven Mutter sucht übermäßig Struktur – aber spürt gleichzeitig die Leere dahinter.
- In Familien mit hoher Spannung zwischen Generationen, fehlender Anerkennung, wenig Wärme entsteht eine emotionale Vererbung: Unsicherheit, Loyalität zu Schmerz, Muster der Wiederholung.
Das Problem: Es fehlt oft ein
gesundes Vorbild – nicht jede Gegenbewegung ist automatisch der „richtige Stil“. Einfach
nicht so sein wie die Mutter reicht nicht. Denn ohne bewusste Bearbeitung bleibt das Muster im Hintergrund wirksam.
Deshalb: Wir müssen
rollen-, stil-, generationsspezifisch unterscheiden lernen: Wer war meine Mutter?
Welcher Typ war sie?
Welche Muster durfte ich übernehmen?
Welche habe ich übernommen – bewusst oder unbewusst?
Und: Welche dienen mir heute noch?
Welche blockieren mich?
Das gilt besonders dort, wo familiäre Verhältnisse von Spannung, Konflikten, fehlender Anerkennung oder Wärme geprägt sind. Solche Familien haben ein erhöhtes Risiko, dass Muster sich
weitervererben. Und damit nicht nur die Symptome – sondern die
Struktur der Wiederholung.
Was kann ich tun?
Reflexion: Frage dich bewusst – welcher Muttertyp war meine Mutter? Welche Gefühle erinnere ich? Welche Reaktionen habe ich heute in ähnlichen Situationen?
Auswahl: Nicht alles, was von der Mutter stammt, muss ich übernehmen. Ich darf wählen – bewusst integrieren, verändern, loslassen.
Übergabe: Ich frage mich – welches Erbe hinterlasse ich meinen Kindern? Nicht nur materiell, sondern emotional, strukturell, wert- und beziehungsvermittelt.
Verbindung schaffen: Wenn Bindung fehlte – suche Heilung über Verbindung, Wärme, Anerkennung. Wenn Kontrolle dominierte – erlaube dir und dem Kind Freiheit mit Struktur.
Ressourcen nutzen: Nutze deine Arbeit als psychologische Beraterin, deine Intuition, dein Wissen um Systemik/Rodologie. Deine eigene Geschichte ist Arbeitsfeld und Ressource zugleich.
Die Rolle der Mutter ist ein Schnittpunkt: Vergangenheit trifft Gegenwart, Kontrolle trifft Autonomie, Struktur trifft Freiheit. Indem wir verstehen, welcher Typ Mutter war, können wir erkennen, welcher Typ wir geworden sind oder werden wollen. Und damit beginnt Heilung, Wachstum und echte Weitergabe – nicht nur von Mustern, sondern von Bewusstsein.
Denn am Ende zählt nicht, welcher Stil“ über alles siegt, sondern welcher Stil für mich heute passt – mit Klarheit, Wärme und Verbindung.
Fazit
Die Rolle der Mutter ist ein Schnittpunkt: Vergangenheit trifft Gegenwart, Kontrolle trifft Autonomie, Struktur trifft Freiheit. Indem wir verstehen, welcher Typ Mutter war, können wir erkennen, welcher Typ wir geworden sind oder werden wollen. Und damit beginnt Heilung, Wachstum und echte Weitergabe – nicht nur von Mustern, sondern von Bewusstsein.
Denn am Ende zählt nicht, welcher Stil“ über alles siegt, sondern welcher Stil für mich heute passt – mit Klarheit, Wärme und Verbindung.
Konntest du beim Lesen erkennen, welchem Typ deine Mutter vielleicht am nächsten kommt?
Wie fühlt sich dieses Wissen für dich an?
Wenn du darüber sprechen oder tiefer hinschauen möchtest – schreib mir gern. Wir können das gemeinsam betrachten.