Evgenia Fuchs geb.Rollheiser
Psychologische Beraterin, Spezialistin für transgenerationales Unbewusstes und Ahnensysteme, Speakerin. Ich begleite Menschen dabei, verborgene Familienskripte zu erkennen, zu verstehen und zu transformieren.

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Warum Armut sich wie eine Krankheit verhält – und was das mit unserer Familiengeschichte zu tun hat

22.12.2025

Der britische Genetiker Steve Jones, Direktor am University College London, nennt eine Zahl, die schwer zu ignorieren ist:
Die Lebenserwartung von Menschen aus den ärmsten Vierteln Glasgows ist um bis zu 28 Jahre niedriger als die der Bewohner wohlhabender Stadtteile derselben Stadt.
Auch in Deutschland zeigt sich ein ähnliches Bild:

Je nach Studie und Geschlecht beträgt der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Arm und Reich sieben bis elf Jahre.

Immer mehr Forschende sind sich einig:
Diese Unterschiede lassen sich nicht allein durch individuelles Verhalten erklären. Eine zentrale Rolle spielt die frühkindliche epigenetische Prägung.

Armut, sozialer Status und mangelnde Bildung verändern bereits in den ersten Lebensjahren unser Epigenom – also jene biologischen Schalter, die beeinflussen, welche Gene aktiv sind und welche nicht.

Diese Prägungen wirken im Körper und im Gehirn weiter und können die Anfälligkeit für Depressionen, Stoffwechselerkrankungen und andere chronische Krankheiten erhöhen.

Der Autor Christian H. Cooper beschreibt Armut deshalb treffend als etwas, das sich „wie eine Krankheit“ verhält:
Sie ist nicht nur ein äußerer Zustand, sondern schreibt sich tief in das biologische und emotionale System eines Menschen ein.

Und genau hier begegnet mir dieses Thema immer wieder in meiner eigenen Arbeit.

👉 Geld, Einkommen und materieller Maßstab sind häufig der Auslöser, warum Menschen beginnen, sich mit ihrer Familiengeschichte auseinanderzusetzen.

Nicht selten kommen sie mit Fragen wie:
  • Warum reagiere ich auf Geld mit Angst oder innerem Druck?
  • Warum fällt es mir schwer, finanziell zu wachsen, obwohl ich kompetent bin?
  • Warum verbinde ich Wohlstand mit Schuld, Loyalität oder innerem Konflikt?

Wenn wir dann in die Familiengeschichte schauen, wird sichtbar:
Unser Verhältnis zu Geld ist selten nur „persönlich“.
Es ist geprägt von Erfahrungen früherer Generationen – von Mangel, sozialem Abstieg, Verlust oder auch von unausgesprochenen Tabus rund um Reichtum und Sicherheit.

Gleichzeitig zeigt die Forschung – und auch meine praktische Erfahrung – noch etwas Wichtiges:
Nicht jede Linie im Stammbaum trägt nur Lasten.
Manchmal entdecken wir in derselben Familie gesunde, stabile Beziehungen zu Geld:

Vorfahren, für die Arbeit, Versorgung und materieller Erfolg selbstverständlich waren – ohne Angst, ohne Selbstsabotage. Diese Erfahrungen wirken ebenfalls weiter.
Und sie können zu einer inneren Ressource werden, wenn wir sie bewusst wahrnehmen.

Familiengeschichte erklärt nicht alles. Aber sie hilft zu verstehen, warum Geld für manche Menschen existenziell aufgeladen ist – und für andere nicht.

Und genau hier beginnt ein entscheidender Perspektivwechsel:
Nicht das Geld selbst ist „schwer“.

Sondern die Geschichten, Erfahrungen und Prägungen, die unsere Wahrnehmung von Geld beeinflussen.

Wenn wir erkennen, woher diese inneren Muster kommen, wird es leichter, uns davon zu lösen, uns innerlich zu befreien und eigene Haltungen, Entscheidungen und Szenarien zu entwickeln – jenseits der übernommenen Vergangenheit.

Es gibt keinen universellen Weg, um das eigene Geld- und Wohlstandsskript zu verändern. Für manche Menschen ist eine selbstständige Auseinandersetzung hilfreich – durch Reflexion, Schreiben, bewusste Beobachtung eigener Muster. Andere profitieren von der Arbeit in einer Gruppe, in der sich familiäre und gesellschaftliche Dynamiken oft besonders klar zeigen. Wieder andere brauchen einen schrittweisen, begleiteten Prozess, in dem sich das Verhältnis zu Geld langsam verändert: durch das Verlassen der eigenen Komfortzone, durch kleine, bewusste Entscheidungen und Handlungen, die alte innere Grenzen verschieben.

Was all diese Wege verbindet, ist eines:

👉 Das eigene Geldszenario lässt sich verändern.

Dieser Prozess beginnt mit Bewusstheit und Verantwortung – und er ist eine Investition, die weit über das eigene Leben hinausgeht. Denn wenn wir unser Verhältnis zu Geld neu ausrichten, verändern wir nicht nur unser persönliches Wohlbefinden, sondern auch das, was wir an kommende Generationen weitergeben.
Wissenschaftliche Impulse & Inspirationsquellen:
  • https://www.newsletter-epigenetik.de/ist-armut-eine-krankheit/
  • https://www.newsletter-epigenetik.de/epigenetische-spur-der-armut-schon-bei-kindern-messbar/
  • https://www.nature.com/articles/s42255-025-01405-8?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=15_2713&utm_term=intro_link

„Warum hat meine Mutter mir Werte vermittelt, nach denen sie selbst nie gelebt hat?“

18.12.2025

„Evgenia, warum ist das so?
Warum hat sie mir mein ganzes Leben lang Ratschläge gegeben, mir Werte vermittelt, Entscheidungen nahegelegt – und sich selbst nie an diese Werte gehalten?
Ich habe so viele Jahre verloren. Blind. Im Vertrauen auf das, was meine Mutter mir gesagt hat."

Ich höre zu und lasse sie ausreden.

„Du weißt, ich habe sie regelrecht idealisiert. Für mich war sie etwas Besonderes. In ihrer Herkunftsfamilie hat sie Dinge erreicht, die vor ihr niemand geschafft hatte. Und erst in den letzten Jahren – seit ich selbst Mutter bin – wird mir klar: Auf viele ihrer Ratschläge hätte ich besser nicht gehört.“

Ich sehe ihre Augen und merke, dass sie auf meine Antwort wartet.
Ich antworte vorsichtig:

„Nach dem, was du mir bereits erzählt hast, klingt das sehr nach Co-Abhängigkeit. Ich habe den Eindruck, dass deine Mutter große Angst hatte, dich zu verlieren, und dir deshalb – unbewusst – Ratschläge gegeben hat, die dich emotional noch stärker an sie gebunden haben. Auch dadurch, dass Fehler erlaubt oder sogar begünstigt wurden. Denn wenn etwas nicht gelingt, bleibt man oft enger verbunden – abhängiger.“

Sie nickt fast sofort. Ihre Schultern sinken schwer nach unten.

„Ja. Sie hatte immer ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle. Egal in welcher Situation. Sie wusste es immer besser. Und ich habe mich angepasst.“

Im weiteren Gespräch erzählt sie mir von den Beziehungen ihrer Mutter zu Männern. Rückblickend waren viele dieser Geschichten wie Lektionen – fast wie ein späteres Aufwachen. Immer wieder tauchen dieselben Themen auf: Vertrauen, Selbstvertrauen, Machtverhältnisse.

Dieses Gespräch fand vor Kurzem statt. Am Kamin. Bei einer Tasse Tee. Mit einer mir sehr nahestehenden Frau.

Manchmal denke ich, dass ich beruflich schon leicht „vorbelastet“ bin. Mir fällt es schwer, einfach nur unverbindliche Gespräche zu führen. Sobald mir jemand seine Lebensgeschichte erzählt, beginnt in meinem Kopf automatisch ein analytischer Prozess: Puzzleteile fügen sich zusammen.

Ich frage nach:
„Deine Mutter war zweimal verheiratet, oder? Wie waren diese Beziehungen?“

„Ach, nichts Gutes … Meinen Vater kenne ich kaum. Mein Stiefvater hat sie betrogen.“

Ich halte kurz inne.
„Weißt du, ob deine Mutter ihren eigenen Vater gekannt hat?“

„Nein. Warum fragst du?“

„Nach allem, was du mir erzählt hast, drängt sich bei mir der Gedanke auf, dass es hier um eine frühe Verlassenheitsangst gehen könnte. Diese tiefe Angst, allein zu bleiben – bestimmte Beziehungsmuster geprägt haben könnte. Unbewusst kann daraus der Versuch entstehen, andere emotional abhängig zu machen, um nicht wieder verlassen zu werden. Das geschieht selten bewusst. Unsere Psyche verfolgt ihre eigenen Schutzstrategien und gestaltet Beziehungen oft so, wie es sich für sie sicher anfühlt.“

Sie denkt nach.
„In der Ehe hat das offenbar nicht funktioniert. Aber im Beruf und mit uns Kindern schon. Sie wollte immer für uns entscheiden. Und bis heute versucht sie zu zeigen, wie viel Macht sie über mich – und sogar über mein Kind – hat."

Aber ich lasse das nicht mehr zu. Ich möchte mein eigenes Leben leben.“

Dann sagt sie leise:
„Wie konnte ich das all die Jahre nicht sehen? Wenn ich nicht immer auf sie gehört hätte, hätte ich vielleicht längst ein eigenes Haus. Und wahrscheinlich auch ganz andere Beziehungen.“

Was meine Freundin beschreibt, ist keineswegs ein Einzelfall

Wenn alles viel früher beginnt, als wir denken

Eine frühe Verlassenheitserfahrung kann den Bindungsstil eines Menschen nachhaltig prägen – die Art, wie Nähe erlebt wird, wie Beziehungen gestaltet werden, wie Grenzen gesetzt oder aufgegeben werden.
Und sehr oft liegt der Ursprung nicht in der eigenen Elternschaft, sondern eine Generation davor.
In der Geschichte meiner Freundin begann vermutlich vieles in dem Moment, als ihre Mutter – noch ein kleines Mädchen – vom Vater verlassen wurde. Ich schreibe "vermutlich", weil nicht ihre Mutter, sondern meine Freundin mir diese Geschichte erzählt. Mir fehlen einfach andere Sichtweisen.

Wir werden nie vollständig wissen, was dieses Kind damals bewusst wahrgenommen hat. Wahrscheinlich konnte sie das Fehlen nicht benennen.
Aber eines ist sicher: Sie hat die Veränderung im Verhalten ihrer Mutter gespürt.
Oft höre ich den Satz:
„Aber in so einem frühen Alter bekommt man doch nichts mit.“
Doch. Man bekommt sehr viel mit. Nicht kognitiv, sondern emotional. Über Spannungen, Stimmungen, Unsicherheit, Angst. Über das, was Erwachsene ausstrahlen.
Kinder nehmen das mit dem Körper wahr.

Wenn wir den Menschen hinter der Elternrolle nicht sehen

Das Entscheidende, das meine Freundin heute erkannt hat, ist Folgendes:
Es ist für sie essenziell, sich emotional von ihrer Mutter zu lösen.
Nicht im Sinne von Abbruch oder Ablehnung.
Sondern im Sinne von innerer Differenzierung.
Ihre Mutter nicht länger auf ein Podest zu stellen, sondern sie als Frau zu sehen:
mit ihrer eigenen Geschichte, ihren Verletzungen, ihren Ängsten und Entscheidungen.
Nicht versuchen, sie zu retten.
Nicht sich ihr unterzuordnen.
Und vor allem: nicht die Rolle der „Weiseren“ oder „Therapeutin“ für die eigene Mutter zu übernehmen.
Einfach den Menschen sehen.
Genau hier liegt eine der größten Herausforderungen für viele Erwachsene mit belasteten Elternbeziehungen.
Wir sind emotional oft noch sehr stark gebunden.
Wir sehen die Rolle – „Mutter“, „Vater“ – aber nicht den Menschen dahinter.
Unser Gespräch am Kamin dauerte mehrere Stunden. Und immer wieder kam mir derselbe Gedanke:
Wie ähnlich sich diese Geschichten sind.
Unabhängig vom Land.
Unabhängig von der Sprache.
Unabhängig von der Kultur.
Menschen bleiben Menschen.
Mit der Angst, verlassen zu werden.
Mit dem Versuch, Liebe festzuhalten.
Mit unbewussten Mustern, die weitergegeben werden – wenn sie nicht erkannt werden. Und manchmal ist der wichtigste Schritt nicht, zu verurteilen.
Sondern zu erkennen.
Und den Mut zu haben, endlich das eigene Leben zu leben.

Die Emotion, die wir nie zeigen durften – und weshalb unser Körper sie Jahrzehnte später offenbart

26.11.2025

Gestern ist etwas passiert, das mich selbst überrascht hat, obwohl ich seit vielen Jahren beruflich und persönlich tief mit emotionalen Prozessen arbeite. Eine innere Welle, lange unter der Oberfläche geblieben, stieg so kraftvoll in mir auf, dass mein Körper noch vor meinem Bewusstsein reagierte. Ich musste das Gespräch am Abendtisch abrupt unterbrechen, mich zurückziehen und in Ruhe atmen, um überhaupt erfassen zu können, welche Emotion sich da gerade mit solcher Intensität Bahn gebrochen hatte.

Nach einigen Minuten achtsamer Verbindung mit mir selbst, nach zwei, drei bewussten Atemsequenzen und einem kurzen inneren Dialog wurde mir klar, was da los war: Es war Wut. Nicht der alltägliche Ärger, den man mit einem Schulterzucken abtun kann, sondern eine tiefe, laute, körperlich spürbare Wut – eine Wut, die sich im Kiefer festbeißt, die Muskeln anspannt, den Atem beschleunigt und das Gefühl erzeugt, dass alles im Inneren gleichzeitig schreien, strampeln und ausbrechen möchte.

Und gleichzeitig wusste ich sofort: Wut ist niemals der Anfang. Sie ist das Ergebnis. Wut ist die letzte Station einer Emotion, die viel früher ignoriert wurde. In meinem Fall war es die über Wochen angesammelte, nicht ernst genommene, nicht ausgesprochene und nicht regulierte Form von Ärger.

Ich hatte mir selbst verboten, wütend zu sein

Es gab genug Gründe für Irritation und Frustration, doch ich habe sie im Alltag übergangen – nicht bewusst, sondern automatisiert, fast so, als wäre in mir ein altes Programm angelaufen, das „Starksein“, „Aushalten“ und „Funktionieren“ über alles stellt.

Der konkrete Auslöser war ganz alltäglich:
Seit einigen Wochen haben wir einen Welpen zu Hause. Meine Tochter und mein Mann haben jahrelang von einem Hund geträumt, und ich wollte diesen Wunsch nicht blockieren. Für mich persönlich war die Anschaffung eines Tieres nie ein inneres Bedürfnis – und dafür gibt es einen einfachen Grund: In meiner Kindheit gab es viel Verantwortung, und ein großer Teil davon lag bei mir. Wir hatten einen Hof, Tiere, Aufgaben, Verpflichtungen. Vieles davon war für ein Kind mit 8-12 Jahren schlicht zu groß.

Ich habe später als Erwachsene verstanden, dass ich diese Form von Verantwortung nicht noch einmal in mein Leben holen möchte. Aber eine Familie besteht aus mehreren Menschen und Wünschen, und so wurde der Hund ein Teil unseres Alltags.

Natürlich verstehe ich rational, dass die turbulente Welpenphase irgendwann vergeht. Doch innerlich begann sich ein Gefühl anzusammeln, das ich nicht wahrhaben wollte oder konnte: Ärger darüber, dass unsere Routine auf den Kopf gestellt wurde. Ärger darüber, dass ich mich in einer Rolle wiederfinde, die ich nicht gewählt habe. Und Ärger darüber, dass ich mir selbst nicht erlaubt habe zu sagen: „Das überfordert mich.“

Der wahre Ursprung lag jedoch viel tiefer

Als ich gestern innehielt, spürte ich plötzlich, dass die gegenwärtige Situation lediglich der Funke war, der eine alte Glut entfachte. Die eigentliche Hitze kam aus meiner Kindheit.

Dort, wo ich keine Wahl hatte.
Dort, wo Verantwortung selbstverständlich war.
Dort, wo ich zu früh zu viel getragen habe.
Dort, wo meine eigenen Bedürfnisse und Gefühle keinen Platz hatten.

Und vor allem:
Dort, wo Wut nicht erlaubt war.

In vielen Familien – und meine war hier keine Ausnahme – war Wut keine Emotion, die begleitet, erklärt oder akzeptiert wurde. Besonders für Mädchen. Wut war etwas Gefährliches, Unerwünschtes, etwas, das man wegdrückt, um nicht „schwierig“, „undankbar“ oder „problematisch“ zu wirken.

Was aber passiert, wenn ein Kind seine Wut nicht ausdrücken darf?

Es lernt, sie zu verstecken.
Es lernt, sie zu "schlücken".
Es lernt, sie umzudeuten.
Oder es lernt, sie ganz zu vergessen.
Doch der Körper vergisst nichts.

Und Jahrzehnte später reicht manchmal ein kleiner Funke, damit ein alter, nie verarbeiteter Schmerz wieder hörbar wird.

Was unterdrückte Ärger und Wut mit unserem Körper macht

Ärger und Wut ist eine die ursprünglichsten menschlichen Emotionen. Sie sind biologisch dazu da, uns zu schützen, Grenzen zu ziehen, Energie bereitzustellen. Wenn sie jedoch dauerhaft unterdrückt wird, beginnt der Körper, für sie zu sprechen – und zwar zunehmend lauter.

Die psychosomatische Forschung beschreibt zahlreiche Zusammenhänge zwischen nicht gelebter Wut und körperlichen Symptomen:

Akute Reaktionen
  • Herzrasen, hoher Puls
  • Enge in der Brust, Druck im Hals
  • Hitze- oder Kältewellen
  • Übelkeit, Atemprobleme
  • Zittern oder Spannungsgefühle
  • Weinen
Mögliche chronische Reaktionen
  • Migräne, Spannungskopfschmerzen
  • Bluthochdruck
  • Magen-Darm-Beschwerden, Reizdarm
  • Schlafstörungen
  • Hautausschläge oder Ekzeme
  • chronische Verspannungen, Rückenschmerzen
Einige Studien weisen sogar auf Zusammenhänge mit:
  • Autoimmunerkrankungen
  • Erschöpfung der Nebennieren
  • Leber- und Gallenproblemen
  • depressiven Verstimmungen
  • Zyklusunregelmäßigkeiten bei Frauen

(Anmerkung aus meiner persönlichen Erfahrung: Ich selbst lebe seit 22 Jahren mit einer Autoimmunerkrankung, die ich erst in den letzten drei Jahren nachhaltig stabilisieren konnte.)

Warum kleine Auslöser manchmal große Reaktionen erzeugen

Manche Situationen im Erwachsenen Leben wirken wie Kopien alter Kindheitsszenen. Und es ist sehr leicht dieser Zusammenhang zu übersehen und das Kernproblem wieder wegschieben. "Ich bin einfach urlaubsreif", "Der Hund ist der Grund für mein Zustand", "Mein Mann/Mein Kind/Meine Eltern bringen mich aus der Fassung" u.v.m. Das heißt: Der gegenwärtige Anlass ist oft nicht das Problem, sondern das, was er in uns berührt, was uns beleuchten.

Wenn wir überproportional stark reagieren, ist das meist ein Zeichen dafür, dass der Auslöser eine alte Erinnerung aktiviert.

Unser Nervensystem erkennt Muster blitzschnell – viel schneller als unser Verstand.
Und so reagieren wir auf das Jetzt, obwohl wir innerlich eigentlich das Damals fühlen.
Oft berichten mir meine Klientinnen, dass sie solche Überreaktionen gerade im Kontakt mit ihren Eltern, im alten Elternhaus oder auch im Umgang mit ihren eigenen Kindern erleben.

Und fast immer folgt darauf ein Gefühl von Schuld oder Scham über diese starken Emotionen und Reaktionen – obwohl sie nichts mit mangelnder Selbstkontrolle zu tun haben, sondern vielmehr ein Zeichen dafür sind, dass das emotionale System noch nicht stabil genug reguliert ist, um in diesen Beziehungen in Harmonie zu bleiben.

Was mir persönlich geholfen hat

Ich habe mich hingesetzt, geatmet und meinem Körper endlich erlaubt, das auszudrücken, was er so lange nicht durfte. Ich habe die Wut bewusst im Körper gespürt, anstatt sie wegzudrücken, und eine einige Techniken angewendet, die ich seit vielen Jahren kenne und regelmäßig nutze. Dazu zählen - Selbstbegleitungs-Methode, Emotionsregulations-Sätze, Tapping und sanfte Rückführung zur emotionalen Wurzel und viele andere.

Nach etwa einer halben Stunde war mein Puls wieder ruhig. Das Weinen hörte auf, mein Atem wurde frei und meine Gedanken klar. Die Wut hatte ihren Platz und ihre Anerkennung in mir gefunden. Und ich spürte eine tiefe Dankbarkeit dafür, dass ich keinen Konflikt mit meinen Liebsten begonnen, niemanden mit meiner Emotion belastet oder sie auf andere projiziert habe, sondern wieder beruhigt im Hier und Jetzt ankommen konnte.

Das war kein Zufall, sondern ein deutliches Zeichen dafür, wie wichtig es ist, sich mit den eigenen Gefühlen auseinanderzusetzen – und wie kraftvoll emotionale Selbstregulation sein kann, wenn wir unsere inneren Muster wirklich kennen und ernst nehmen.
Viele Menschen glauben, Wut sei falsch, beschämend oder unangebracht – besonders Frauen.

Und weil so viele von uns gelernt haben, dass Anpassung sicherer ist als Ausdruck.

Doch Wut ist nicht das Problem.
Das Problem ist, wenn sie keinen Platz hat.

Ich erlebe in meiner Arbeit immer wieder, wie tiefgreifend sich das Leben verändert, wenn Menschen beginnen, ihr emotionales Erbe wirklich zu verstehen.
Reaktionen werden weicher, Beziehungen stabiler, Entscheidungen klarer – und das innere Gefühl von Selbstkontakt wächst spürbar.

Darüber hinaus sehe ich immer wieder, dass Menschen, die ihre eigene innere Welt kennen und die blockierten Emotionen gelöst haben, ganz andere Eltern werden:
Sie können die Gefühle ihrer Kinder besser einordnen, sie sicher begleiten und ihnen gesunde Wege zeigen, Emotionen auszuleben, anstatt sie zu unterdrücken.

Eltern, die ihre eigenen Emotionen integriert haben, schicken ihre Kinder nicht ins Zimmer, „um über alles nachzudenken“.
Sie verlangen beim Fehler nicht „Funktionieren“, sondern stellen Fragen:
Was ist passiert? Was hast du gefühlt? Was brauchst du?

Kinder lernen dadurch nicht Gehorsam, sondern Selbstkontakt.
Nicht Verdrängung, sondern Regulation.

Ohne die Lasten der Vergangenheit zu bearbeiten, neigen wir unbewusst dazu, sie weiterzugeben – oft genau an die Menschen, die wir am meisten lieben.
Wollen wir das wirklich?
Diese Frage sollte sich jedes Elternteil mindestens einmal im Leben stellen.

Ein wichtiger Hinweis aus meiner Praxis:

Arbeit mit unverarbeiteten Emotionen, tiefen Triggern oder alten Kindheitserfahrungen gehört immer in die Einzelbegleitung. Solche Prozesse brauchen Sicherheit, Vertrauen, Tiefe und einen geschützten Rahmen. Gruppentreffen sind dafür nicht geeignet.
Wenn du das Gefühl hast, dass du ein Thema davon näher anschauen möchtest, kannst du dich gern unverbindlich bei mir melden.

"Ich habe mir immer eine andere Mutter gewünscht" Wie verschiedene Mutter-Typen unser Leben prägt

18.11.2025

In der psychologischen Arbeit mit Familien- und Generationsthemen fällt mir immer wieder eines auf: Wie sehr die Mutterrolle nicht nur in ihrer aktuellen Funktion wirkt – sondern als Echo vergangener Generationen, als Szenario, das sich wiederholt.

Wer war diese Mutter?
Welcher Typ war sie?
Welche Prägungen, Erfahrungen, Muster haben sie gebildet?
Und: Welche davon übernehmen wir – bewusst oder unbewusst – für uns selbst?

Herkunft, Prägung, Entstehung des Mutter-Typs

Die Mutter-Persönlichkeit wird nicht im Vakuum geboren. Vielmehr ist sie das Ergebnis einer Lebensgeschichte: Kindheit, familiäre Herkunft, gesellschaftliche Erwartungen, eigene Emotionen und ungelöste Themen.

Einige typische Einflussfaktoren:

  • Wenn die eigene Mutter sehr streng und kontrollierend war – entsteht bei der Kindern vielleicht das Bedürfnis, „anders“ zu sein oder genau diese Strenge zu reproduzieren.
  • Wenn die Mutter emotionale Mangel erlebt oder gezeigt hat (z. B. Vernachlässigung, wenig Wärme) – kann die nächste Generation entweder überfürsorglich werden oder scheuen vor Nähe.
  • Familiäre Dynamiken wie Unsicherheit, Instabilität, finanzielle oder gesundheitliche Krisen wirken oft als unbewusste „Erziehungs-Grundlage“. Wenn in der Herkunftsfamilie z. B. das Gefühl von „Ich muss mich beweisen“ oder „Ich muss vorsorgen“ dominant war, zeigt sich das später in der Mutterrolle.
  • Gesellschaftliche Konstrukte und Rollenbilder: „Die gute Mutter muss alles schaffen“, „Mutter sein heißt Opfer bringen“, etc. All das wirkt mit.
  • Deshalb ist es wichtig zu verstehen: Wenn ich mit einer Mutterarbeite, arbeite ich nicht nur mit ihrem aktuellen Verhalten – ich blicke in ihre Geschichte und sehe, welches Überlebens-, Anpassungs- oder Widerstandsmuster hier aktiv war.

Typen von Müttern – Verhalten, Merkmale, Wirkung auf das Kind

Auf dem deutschsprachigen Raum wird häufig auf die klassischen Erziehungsstil-Typologien verwiesen (nach Diana Baumrind u. a.).
Im Rahmen meiner Praxis fokussiere ich etwas anders: nicht nur Stil, sondern Mutter-Rolle als Stellung in der Familie, Beziehung zur eigenen Mutter und zum Kind.

1) Die „Strenge Mutter“ (Autoritär)

Merkmale: Hohe Anforderungen, klare Regeln, wenig Flexibilität. Die Mutter übernimmt Kontrolle, zeigt wenige Emotionen und erwartet Gehorsam. Beispielhafte Aussage: „Ich sage dir, wie es läuft – du hast wenig Mitspracherecht.
Entstehung: Oft selbst in einer Herkunftsfamilie erzogen worden, in der Kontrolle und Disziplin als Schutz dienten (z. B. unsichere Umwelt, finanzielle Not, starke Erwartungen). Vielleicht hatte sie wenig echte emotionale Sicherheit, hat aber gelernt: „Wenn ich streng bin, habe ich Kontrolle.“
Verhalten gegenüber dem Kind: Das Kind erlebt oft: Strukturen, wenig Diskussion, Fehler werden geahndet. Selbstständigkeit wird kaum gefördert.
Auswirkung auf das Kind: Geringere Fähigkeit zur autonomen Entscheidung, möglicherweise niedriges Selbstwertgefühl, Angst vor Fehlern.
Besonderheit: Im Erwachsenenalter kann das Kind (insbesondere Tochter) dieses Muster übernehmen – oder aktiv dagegen rebellieren und völlig gegen die Strenge gehen.

2) Die „Liebende, aber schwache Mutter“ (Permissiv)

Merkmale: Sehr viel Wärme, große Akzeptanz, kaum Grenzen oder konsequent geltende Regeln. Mutter möchte Freundin sein, Konflikte vermeiden.
Entstehung: Vielleicht selbst in einer streng-kontrollierenden Herkunft erlebt, und nun will sie „alles anders machen“. Oder vielleicht fehlte ihr Vorbild für Grenzen und Struktur.
Verhalten gegenüber dem Kind: Das Kind darf sehr viel, übernimmt früh Verantwortung. Regeln fehlen oder sind unklar.
Auswirkung auf das Kind: Schwierigkeiten mit Struktur, Grenzen, Frustrationstoleranz. Vielleicht Überforderung oder Orientierungslosigkeit.
Besonderheit: Als Erwachsene können die Kinder sich überfordert fühlen – entweder übernimmt sie Grenzenlosigkeit oder sucht radikal Struktur und Kontrolle.

3) Die „Ausgebrannte / Vernachlässigende Mutter“

Merkmale: Wenig emotionale Präsenz, wenig Interesse, wenige Forderungen. Mutter ist gebremst, vielleicht durch eigene Belastungen (Überforderung, Krankheit, Arbeit, Familiengeschichte).
Entstehung: Oft eigene traumatische Herkunft, permanente Überforderung, wenig Unterstützung – Mutter war „nur funktionieren“.
Verhalten gegenüber dem Kind: Das Kind bleibt oft auf sich gestellt, bekommt wenig Begleitung, bekommt kaum gespiegelt: „Ich sehe dich, ich fühle mit dir“.
Auswirkung auf das Kind: Gefühl der Unsicherheit, Bindungsschwäche, Suche nach Halt, später Neigung zu Mustern wie „Ich muss für mich selbst sorgen“, Schwierigkeiten Nähe zuzulassen.
Besonderheit: In der nächsten Generation kann vor allem eine Tochter diese Abwesenheit entweder nachholen wollen – wird übervorsorglich – oder sie wiederholt unbewusst.

4) Die „Ausgewogene Mutter“ (Autoritativ / Demokratisch)

Merkmale: Klare Struktur und Regeln, gleichzeitig emotionale Wärme, Dialog und Beteiligung des Kindes. Sie fördert Autonomie und übernimmt Verantwortung.
Entstehung: Oft eigener Hintergrund mit Erfahrung von Sicherheit, guter Bindung – oder bewusstes Reflektieren der Herkunft und Anstreben eines anderen Weges.
Verhalten gegenüber dem Kind: Das Kind weiß, was gilt, warum gilt – Regeln sind verständlich; die Mutter nimmt Gefühle wahr, ermutigt Mitgestaltung.
Auswirkung auf das Kind: Höheres Selbstwertgefühl, bessere soziale Kompetenz, stabilere Autonomie.
Besonderheit: Für viele Frauen ein Ideal – aber kein Automatismus. Auch diese Mutter braucht Reflexion.

Weitergabe und Übernahme – oder der Gegenkurs

Was viele meiner Klientinnen berichten: „Ich mache es anders als meine Mutter, – und trotzdem spüre ich, wie ich genau dieses Muster wiederhole. Warum?"

Weil nicht das Verhalten allein übergeben wird, sondern die dahinterliegende Emotion, das Überlebensmuster, die ungelöste Frage.
Zum Beispiel:
  • Ein Kind der strengen Mutter schafft sich Freiheiten, setzt aber später selbst sehr hohe Ansprüche – weil die Selbstwert-Fragilität bleibt.
  • Ein Kind der permissiven Mutter sucht übermäßig Struktur – aber spürt gleichzeitig die Leere dahinter.
  • In Familien mit hoher Spannung zwischen Generationen, fehlender Anerkennung, wenig Wärme entsteht eine emotionale Vererbung: Unsicherheit, Loyalität zu Schmerz, Muster der Wiederholung.

Das Problem: Es fehlt oft ein gesundes Vorbild – nicht jede Gegenbewegung ist automatisch der „richtige Stil“. Einfach nicht so sein wie die Mutter reicht nicht. Denn ohne bewusste Bearbeitung bleibt das Muster im Hintergrund wirksam.

Deshalb: Wir müssen rollen-, stil-, generationsspezifisch unterscheiden lernen: Wer war meine Mutter?
Welcher Typ war sie?
Welche Muster durfte ich übernehmen?
Welche habe ich übernommen – bewusst oder unbewusst?
Und: Welche dienen mir heute noch?
Welche blockieren mich?

Das gilt besonders dort, wo familiäre Verhältnisse von Spannung, Konflikten, fehlender Anerkennung oder Wärme geprägt sind. Solche Familien haben ein erhöhtes Risiko, dass Muster sich weitervererben. Und damit nicht nur die Symptome – sondern die Struktur der Wiederholung.

Was kann ich tun?

Reflexion: Frage dich bewusst – welcher Muttertyp war meine Mutter? Welche Gefühle erinnere ich? Welche Reaktionen habe ich heute in ähnlichen Situationen?

Auswahl: Nicht alles, was von der Mutter stammt, muss ich übernehmen. Ich darf wählen – bewusst integrieren, verändern, loslassen.

Übergabe: Ich frage mich – welches Erbe hinterlasse ich meinen Kindern? Nicht nur materiell, sondern emotional, strukturell, wert- und beziehungsvermittelt.

Verbindung schaffen: Wenn Bindung fehlte – suche Heilung über Verbindung, Wärme, Anerkennung. Wenn Kontrolle dominierte – erlaube dir und dem Kind Freiheit mit Struktur.

Ressourcen nutzen: Nutze deine Arbeit als psychologische Beraterin, deine Intuition, dein Wissen um Systemik/Rodologie. Deine eigene Geschichte ist Arbeitsfeld und Ressource zugleich.
Die Rolle der Mutter ist ein Schnittpunkt: Vergangenheit trifft Gegenwart, Kontrolle trifft Autonomie, Struktur trifft Freiheit. Indem wir verstehen, welcher Typ Mutter war, können wir erkennen, welcher Typ wir geworden sind oder werden wollen. Und damit beginnt Heilung, Wachstum und echte Weitergabe – nicht nur von Mustern, sondern von Bewusstsein.

Denn am Ende zählt nicht, welcher Stil“ über alles siegt, sondern welcher Stil für mich heute passt – mit Klarheit, Wärme und Verbindung.

Fazit

Die Rolle der Mutter ist ein Schnittpunkt: Vergangenheit trifft Gegenwart, Kontrolle trifft Autonomie, Struktur trifft Freiheit. Indem wir verstehen, welcher Typ Mutter war, können wir erkennen, welcher Typ wir geworden sind oder werden wollen. Und damit beginnt Heilung, Wachstum und echte Weitergabe – nicht nur von Mustern, sondern von Bewusstsein.

Denn am Ende zählt nicht, welcher Stil“ über alles siegt, sondern welcher Stil für mich heute passt – mit Klarheit, Wärme und Verbindung.


Konntest du beim Lesen erkennen, welchem Typ deine Mutter vielleicht am nächsten kommt?
Wie fühlt sich dieses Wissen für dich an?

Wenn du darüber sprechen oder tiefer hinschauen möchtest – schreib mir gern. Wir können das gemeinsam betrachten.

Warum Trauern so wichtig ist:

Wie fehlendes, verbotenes oder gestopptes Trauern uns – über Jahre und Generationen hinweg – schaden kann.

05.11.2025

Unsere Tochter hat jahrelang von einem Hund geträumt.

Wir wollten warten, bis sie alt genug ist, um Verantwortung zu übernehmen.
Nun war es so weit: Sie ist neun, die Rasse war gewählt, der Züchter gefunden, das Datum stand fest.

Die Vorfreude war riesig – sie konnte kaum schlafen. Alles drehte sich um diesen kleinen Welpen, um das neue Familienmitglied, das bald bei uns einziehen sollte.

Doch einen Tag vor der Abholung kam die Nachricht:

Der Welpe hatte nach der ersten Impfung hohes Fieber bekommen – und hat es nicht geschafft.

Wir verloren ein kleines Wesen, das wir nie in den Armen hielten, aber schon in unseren Herzen trugen.

Und dann kam die Frage:
Was tun?
Sollten wir es ihr verschweigen?
Einen anderen Hund nehmen – einfach so, als wäre nichts gewesen?
Oder die Wahrheit sagen – dass ihr Hund gestorben ist, bevor er zu ihr kommen konnte?

Ich wusste, wie wichtig das Trauern ist.
Wie stark unverarbeiteter Schmerz in der Tiefe des Körpers und der Seele bleibt – manchmal über Generationen hinweg. Also haben wir entschieden: Wir erzählen die Wahrheit. Wir begleiten sie durch den Schmerz.
Es war schwer ihre Tränen zu sehen.
Aber wir waren da.

Wir haben mit ihr gesprochen, sie gefragt, was sie fühlt. Und irgendwann, nach Tagen, kam Ruhe und Erkenntnis.

Unsere Tochter sagte:

„Der Name bleibt bei ihm. Das war sein Name. Ich werde ihn im Herzen behalten. Und der neue Hund bekommt einen anderen.“

Nicht als Ersatz. Sondern als Neuanfang.

Vor einigen Tagen zog unser neuer Welpe ein.
Mit einem neuen Namen, einer neuen Geschichte, einem neuen Platz in unserem Leben.

Nicht, um die Wunde zu verdecken – sondern weil dort, wo Schmerz gefühlt werden durfte, wieder Platz für Freude entstanden ist.

Warum das Trauern so wichtig ist

In meiner Arbeit begegne ich vielen Menschen, die nie trauern durften.

Die Verluste verschoben, verdrängten oder überspielten – aus Angst, dass es „zu viel“ wird. Doch der Schmerz verschwindet nicht. Er verwandelt sich: in Müdigkeit, Leere, Reizbarkeit oder das Gefühl, dass „etwas fehlt“.

Viele Menschen tragen nicht nur ihren eigenen Schmerz, sondern auch den der Generationen davor. Unverarbeitete Trauer bleibt in Familiengeschichten lebendig –
in stillen Blicken, in unerklärlicher Angst oder in einem Gefühl von Schwere, das keinen erkennbaren Ursprung hat.

Oft geht es um unbetrauerte Kriegsopfer, verschwundene oder gefallene Angehörige,
plötzliche Tode, Kindstode, Fehlgeburten, Schicksalsschläge, Flucht, Verlust von Heimat oder Existenz, Bankrott, Verrat oder gebrochene Versprechen.

Wenn über diese Verluste nicht gesprochen werden durfte, trägt die nächste Generation sie unbewusst weiter – als Angst, als Überverantwortung, als ständige innere Unruhe.

Was in uns passiert, wenn wir trauern

Trauer ist kein linearer Prozess. Sie verläuft in Phasen, die sich abwechseln oder wiederholen können:

  1. Schock & Verleugnung – das Gefühl, dass es „nicht wahr sein kann“.
  2. Wut & Protest – die Suche nach einem Schuldigen, nach Sinn.
  3. Verhandeln & Hoffnung – der Wunsch, es rückgängig machen zu können.
  4. Traurigkeit & Rückzug – der Moment, in dem wir die Realität akzeptieren.
  5. Akzeptanz & Integration – wenn Schmerz seinen Platz bekommt, ohne das Leben zu dominieren.

Diese Phasen brauchen Zeit.
Manchmal Wochen, manchmal Monate, manchmal Jahre.
Der Durchschnitt liegt laut psychologischen Studien zwischen 6 Monaten und 2 Jahren, je nach Intensität der Bindung und Unterstützung durch das Umfeld.

Was heißt das für uns?

Während wir trauern, reagiert der Körper wie auf einen tiefen Schock:

  • Stresshormone wie Cortisol steigen stark an.
  • Das Immunsystem wird geschwächt.
  • Schlaf und Appetit verändern sich.
  • Das Herz schlägt schneller, manchmal unregelmäßig.

Der Körper zeigt, was die Seele fühlt.
Und wenn wir die Trauer nicht leben, bleibt dieser Zustand bestehen: chronischer Stress, Erschöpfung, psychosomatische Beschwerden.

Viele Menschen erleben dann Symptome, ohne sie mit einem alten Verlust in Verbindung zu bringen – Kopfschmerzen, Verspannungen, Angst, Schuldgefühle.

Warum es heilt, zu fühlen

Wenn wir uns Trauer erlauben, passiert etwas Heilsames:

  • Der Körper darf loslassen, was festgehalten wurde.
  • Die Seele darf das Unbegreifliche in die eigene Geschichte integrieren.
  • Wir öffnen Raum für Freude, Nähe und Vertrauen.

Trauern bedeutet nicht, im Schmerz zu bleiben.
Es bedeutet, ihm ein Zuhause zu geben, damit er uns nicht mehr heimlich regiert.
Wir können den Tod nicht verhindern.

Aber wir können lernen, mit dem Leben zu trauern – achtsam, mitfühlend, in Verbindung.

Epigenetische Spuren kindlicher Traumata in der Muttermilch entdeckt

01.11.2025

Stellen Sie sich vor: Jede Träne, jeder Mangel an Geborgenheit, jedes verletzende Wort aus der eigenen Kindheit könnte sich – Jahrzehnte später – in winzigen Molekülen im Körper wiederfinden.

Und nicht nur das: Diese biologischen Spuren könnten sogar über die Muttermilch an das Kind weitergegeben werden. Was nach Science-Fiction klingt, wurde nun in einer aktuellen Studie aus Polen erstmals wissenschaftlich nachgewiesen.

Neue Studie aus Polen zeigt: Kindheitserfahrungen der Mutter hinterlassen messbare Spuren

Am 6. Oktober 2025 veröffentlichte das Fachjournal Translational Psychiatry (Nature Publishing Group) eine bahnbrechende Studie mit dem Titel „Differential microRNAs and metabolites in the breast milk of mothers with adverse childhood experiences“.

Die Forschungsgruppe unter Leitung von Ali Jawaid (TREND-Lab, Nencki Institute of Experimental Biology, Warschau) und Weronika Tomaszewska analysierte die Muttermilch von über 100 polnischen Frauen.

Ziel war es herauszufinden, ob frühe Kindheitstraumata der Mutter (sogenannte Adverse Childhood Experiences, ACE) biologisch messbare Spuren in der Milch hinterlassen – und ob diese Veränderungen mit dem Temperament ihrer Babys in Verbindung stehen.Traumatische Erfahrungen können nicht nur das Leben der unmittelbar Betroffenen prägen.

Forschungen zeigen, dass ihre Nachwirkungen über Generationen hinweg spürbar bleiben. Drei zentrale Mechanismen spielen dabei eine Rolle:

Was genau wurde entdeckt?

Die Forschenden fanden bei Müttern mit hohen ACE-Werten:

  • Erhöhte Konzentrationen bestimmter Mikro-RNAs (miR-142-3p, miR-142-5p, miR-223-3p) in der Muttermilch.
  • Geringere Mengen an mittelkettigen Fettsäuren (MCFAs), die wichtig für die Energieversorgung des Säuglingsgehirns sind.
  • Diese molekularen Profile standen in Zusammenhang mit dem Temperament der Kinder im Alter von fünf Monaten – etwa mit emotionaler Reaktivität und der Fähigkeit zur Selbstregulation.

Die Wissenschaftlerinnen kontrollierten dabei mögliche Störfaktoren wie postpartale Depression, die sich jedoch nicht als Ursache der Unterschiede erwiesen.

Und die Väter?

Auch hier zeigt die Forschung Erstaunliches:

Studien der letzten Jahre (u. a. Zürich, Yale 2020-2024) fanden, dass Kindheitsstress beim Vater die Zusammensetzung seiner Spermien verändern kann.

Dabei sinken z. B. die Spiegel der Mikro-RNAs miR-34 und miR-449 – Moleküle, die bei der Entwicklung des Gehirns des Nachwuchses eine Rolle spielen.

Selbst bei Tieren konnte gezeigt werden: Väterliche Traumata beeinflussen das Verhalten der Nachkommen.Viele Menschen mit familiärem Traumahintergrund verlieren den Zugang zu ihren körperlichen Signalen: Atmung und Muskeltonus sind chronisch angespannt, das eigene Körpergefühl scheint unsicher. Der Trauma‑Forscher Bessel van der Kolk betont, dass körperliche Selbstwahrnehmung der erste Schritt zur Befreiung von der Vergangenheit ist. TSY lädt dazu ein, über sanfte Bewegungen und bewusstes Atmen wieder in den Körper zurückzukehren. Dadurch sinkt das allgemeine Erregungsniveau, das Nervensystem findet häufiger in den parasympathischen Ruhezustand.

Was heißt das für uns?

Unsere Erfahrungen – ob Freude oder Schmerz – hinterlassen Spuren.

Aber: Epigenetische Veränderungen sind nicht endgültig.

Der Körper ist lernfähig. Die Zellen hören zu.

Wir können viele Prozesse umkehren oder beruhigen, wenn wir hinschauen, fühlen, verstehen.
Indem wir beginnen, über das zu sprechen, was lange verschwiegen war,

indem wir unsere Geschichten annehmen –

verwandeln wir Schwere in Kraft.

Wir ehren das Vergangene, danken ihm – und schaffen Raum für etwas Neues.Das Erleben eigener Wahlmöglichkeiten in jeder Pose fördert das Gefühl von Autonomie und Sicherheit. Für Personen, die in ihrer Herkunftsfamilie wenig Raum für eigene Bedürfnisse erlebten, kann dies tiefgreifend heilsam sein. Das egalitäre Verhältnis zwischen Lehrenden und Teilnehmenden modelliert gesunde Beziehungen und durchbricht hierarchische Muster.

Fazit

Diese Forschung erinnert uns daran, wie fein verwoben Körper, Seele und Geschichte sind. Was Generationen vor uns erlebt haben, hallt in uns nach – nicht als Schicksal, sondern als Einladung.

Eine Einladung, das eigene Erbe mit Bewusstsein und Mitgefühl zu betrachten.
Denn sobald wir beginnen, unsere Geschichten zu verstehen und zu heilen, verändern sich nicht nur unsere Gefühle – sondern auch die biochemische Melodie unseres Körpers.

Mit Liebe zum Vergangenen und Vertrauen in die Zukunft können wir viele Prozesse umkehren, Balance finden – und neue Wege für die kommenden Generationen öffnen.

Quellen

Tomaszewska, W. et al. (2025). Differential microRNAs and metabolites in the breast milk of mothers with adverse childhood experiences. Translational Psychiatry (Nature Publishing Group) https://www.nature.com/articles/s41398-025-03491-4

Gapp, K., et al. (2014). Implication of sperm RNAs in transgenerational inheritance of the effects of early trauma in mice. Nature Neuroscience, 17(5), 667–669. https://doi.org/10.1038/nn.3695iptrauma.org.

Trauma‑Sensitive Yoga und transgenerationales Erbe

08.10.2025

Manchmal merken wir erst Jahre später, wie tief das Erbe unserer Familie in uns nachwirkt. Als ich mich auf die Suche nach den Wurzeln meiner eigenen inneren Unruhe machte, stieß ich auf Geschichten von Großeltern, die Krieg und Hunger erlebt hatten, und auf Verhaltensmuster, die sich wie selbstverständlich durch die Generationen zogen. Lange verstand ich nicht, warum mich bestimmte Situationen übermäßig belasteten oder weshalb ich unbegründet Angst, Frust oder Scham spüre.

Der Wunsch nach Heilung führte mich zu verschiedenen Ansätzen – von Gesprächstherapie bis zu Meditation – und schließlich auch zu körperorientierten Methoden wie Trauma‑Sensitive Yoga (TSY). Diese Form der Yoga‑Praxis verbindet sanfte Bewegung mit achtsamer Wahrnehmung und öffnet einen Raum, in dem man sowohl die eigene Geschichte als auch das transgenerationale Erbe behutsam erforschen kann..

Transgenerationales Erbe: Wie Traumata weitergegeben werden

Traumatische Erfahrungen können nicht nur das Leben der unmittelbar Betroffenen prägen. Forschungen zeigen, dass ihre Nachwirkungen über Generationen hinweg spürbar bleiben. Drei zentrale Mechanismen spielen dabei eine Rolle:

  1. Epigenetische Veränderungen. Stress und extreme Belastungen können chemische Markierungen an der DNA hinterlassen. Bei Nachkommen von Holocaust‑Überlebenden fanden Wissenschaftler veränderte Methylierungsmuster des Stressgens FKBP5, das mit erhöhter Vulnerabilität für posttraumatische Belastungsstörungen und Depressionen in Verbindung steht.
  2. Erlernte Muster und Überzeugungen. Überlebensstrategien wie „Vertraue niemandem“ oder „Zeige niemals Schwäche“ werden häufig unbewusst weitergegeben. Was einst als Schutz diente, kann spätere Generationen in ihren Beziehungen und ihrer Selbstwahrnehmung behindern.
  3. Kollektives Gedächtnis. In Familien, die Krieg, Vertreibung oder systematische Diskriminierung erlebt haben, wachsen Kinder mit Geschichten über Leid und Verlust auf. Das kann zu Schuldgefühlen, überhöhtem Verantwortungsbewusstsein oder dem Druck führen, das Leid der Vorfahren wiedergutzumachen.

Solches transgenerationales Erbe äußert sich häufig in erhöhter Angst, Depression oder Anfälligkeit für Traumafolgestörungen. Es entsteht im Zusammenspiel von biologischen, sozialen und kulturellen Faktoren.

Was ist Trauma‑Sensitive Yoga?

Trauma‑Sensitive Yoga wurde im Trauma Center in Brookline, USA, entwickelt. Diese Praxis orientiert sich an der klassischen Hatha‑Yoga‑Lehre, legt aber besonderen Wert auf Sicherheit und Selbstbestimmung. Wichtige Elemente sind:

  • Wahlfreiheit und Selbstwirksamkeit. Anweisungen werden als Einladungen formuliert („Du kannst …, wenn es sich richtig anfühlt“), sodass Teilnehmende ihre eigenen Grenzen wahrnehmen und achten können.
  • Innere Wahrnehmung statt äußere Form. Der Fokus liegt auf dem Spüren von Atem, Spannung und Wärme im Körper, nicht auf perfekter Ausrichtung. Dadurch wird die Verbindung zwischen Körper und Geist gestärkt.
  • Gegenwärtigkeit. Übungen finden im Hier und Jetzt statt, ohne dass traumatische Inhalte gezielt angesprochen werden.
  • Vorhersehbarkeit und Sicherheit. Die Struktur der Stunde ist klar, Berührungen oder körperliche Hilfestellungen werden vermieden. Das schafft einen Rahmen, in dem sich Menschen mit traumatischen Erfahrungen sicher fühlen können.
  • Beziehungsorientiertes Unterrichten. Die Lehrperson versteht sich als Begleiterin auf Augenhöhe. Es gibt kein „Richtig“ oder „Falsch“, sondern Raum für individuelle Erfahrung.

Trauma‑Sensitive Yoga wird heute in Kliniken, Beratungsstellen und Gemeindeprogrammen weltweit eingesetzt. Eine randomisierte Studie mit 64 Frauen, die an chronischer posttraumatischer Belastungsstörung litten, zeigte nach zehn Wochen wöchentlicher Yogastunden deutliche Verbesserungen: Über die Hälfte der Teilnehmerinnen der Yoga‑Gruppe erfüllte am Ende der Studie nicht mehr die PTSD‑Diagnosekriterien, während dies in der Kontrollgruppe nur rund einem Fünftel gelang. Die Forschenden stellten fest, dass Yoga die Fähigkeit stärkt, körperliche Empfindungen zu tolerieren und emotionale Bewusstheit zu entwickeln.

Wie TSY bei transgenerationalem Erbe helfen kann

Rückkehr in den Körper

Viele Menschen mit familiärem Traumahintergrund verlieren den Zugang zu ihren körperlichen Signalen: Atmung und Muskeltonus sind chronisch angespannt, das eigene Körpergefühl scheint unsicher. Der Trauma‑Forscher Bessel van der Kolk betont, dass körperliche Selbstwahrnehmung der erste Schritt zur Befreiung von der Vergangenheit ist. TSY lädt dazu ein, über sanfte Bewegungen und bewusstes Atmen wieder in den Körper zurückzukehren. Dadurch sinkt das allgemeine Erregungsniveau, das Nervensystem findet häufiger in den parasympathischen Ruhezustand.

Entwicklung von Interozeption und emotionaler Regulation

Durch die Betonung innerer Empfindungen verbessern sich die Fähigkeit zur Interozeption und der Umgang mit schwierigen Gefühlen. Studien zeigen, dass Yoga emotionale Wahrnehmung und Toleranz gegenüber belastenden Empfindungen erhöht. Für Menschen mit transgenerationalem Erbe ist dies besonders wertvoll, weil sie körperliche Reaktionen oft als bedrohlich erleben. Eine regelmäßige Praxis schafft Abstand zu alten Automatismen und eröffnet die Möglichkeit, bewusst zu reagieren statt unbewusst zu reproduzieren.

Stärkung von Kontrolle und Vertrauen

Das Erleben eigener Wahlmöglichkeiten in jeder Pose fördert das Gefühl von Autonomie und Sicherheit. Für Personen, die in ihrer Herkunftsfamilie wenig Raum für eigene Bedürfnisse erlebten, kann dies tiefgreifend heilsam sein. Das egalitäre Verhältnis zwischen Lehrenden und Teilnehmenden modelliert gesunde Beziehungen und durchbricht hierarchische Muster.

Verringerung der Weitergabe von Trauma

Obwohl Yoga epigenetische Veränderungen nicht rückgängig macht, kann regelmäßige Praxis Stress, Angst und depressive Symptome reduzieren. Forschende vermuten, dass Eltern, die innerlich ruhiger und präsenter sind, weniger dazu neigen, traumatische Verhaltensweisen unbewusst an ihre Kinder weiterzugeben. Familiäre Yogastunden bieten zudem einen sicheren Raum für gemeinsamen Austausch und stärken die Resilienz aller Beteiligten.

Praktische Hinweise

  1. Qualifizierte Begleitung suchen. Trauma‑Sensitive Yoga sollte von speziell geschulten Lehrenden angeleitet werden. Sie kennen mögliche Trigger und gestalten die Umgebung entsprechend sicher.
  2. Grenzen respektieren. Körperliche Hilfestellungen oder erzwungene Haltungen haben hier keinen Platz. Die Sprache ist einladend und erlaubt jederzeit Pausen.
  3. Mit Therapie kombinieren. TSY ersetzt keine traumatherapeutische Behandlung, sondern ergänzt sie. Eine Abstimmung mit Psychotherapeutinnen oder anderen Fachpersonen ist sinnvoll, vor allem bei schweren Traumata.
  4. Regelmäßigkeit und Gemeinschaft. Veränderungen entstehen über Zeit. Eine kontinuierliche Praxis – gegebenenfalls gemeinsam mit Familienmitgliedern – unterstützt den Aufbau neuer, gesunder Muster.

Fazit

Trauma‑Sensitive Yoga ist ein behutsamer, wirksamer Ansatz, um die Folgen von transgenerationalem Trauma zu lindern. Er fördert die Rückkehr zum Körper, stärkt die Wahrnehmung innerer Signale und vermittelt ein Gefühl von Selbstwirksamkeit. Zwar kann eine Yogapraxis allein keine genetischen Veränderungen „heilbar“ machen, doch sie kann Stressreaktionen reduzieren und dazu beitragen, destruktive Verhaltensmuster zu durchbrechen.
Wichtig ist dabei, sich bewusst zu machen, dass körperorientierte Methoden wie TSY nie die Zusammenarbeit mit psychologischen oder psychiatrischen Fachpersonen ersetzen. Sie sind Teil eines umfassenden Heilungswegs, der sowohl die Geschichte unserer Vorfahren als auch unsere eigene Gegenwart respektiert.

Quellen


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Rückblick: Der 75. Deutsche Genealogentag in Frankfurt

29.09.2025

Wenn man zum ersten Mal auf ein grosses genealogisches Fest fährt, kann das Herz ganz schön flattern. Vor meiner Reise zum 75. Deutschen Genealogentag in Frankfurt ging es mir genau so. Obwohl mich die Vorfreude überwältigte, spürte ich auch Respekt vor meinem Vortragsthema. Denn wer über unsichtbare Erbschaften und die emotionalen Spuren unserer Vorfahren spricht, berührt sensible Bereiche.

Trotz meiner anfänglichen Nervosität überwog das Gefühl der Erwartung. Schließlich trafen sich in Frankfurt nicht nur Ahnenforscher:innen, sondern Menschen, die darin übereinstimmen: Die Vergangenheit bildet das Fundament von Gegenwart und Zukunft. Genealogen, Historikerinnen, Informatiker, Verbände und viele Neugierige – alle eint die Überzeugung, dass der Blick zurück kein Selbstzweck ist, sondern uns dabei hilft, die eigene Geschichte zu verstehen und die Zukunft bewusst zu gestalten.

Dass die Ausstellung des Genealogentages vom 26. bis 28. September stattfand und die Vorträge sowie Workshops gut besucht waren, zeigt, wie offen und einladend dieses Forum war.

Zwischen Staunen und Dankbarkeit

Vor Ort löste sich meine Anspannung schnell in Bewunderung. Mehrere Vortragssäle, zahllose Aussteller und ein Publikum, das sich mit Herzblut für die Familiengeschichte engagiert – die Dimensionen des Events waren überwältigend. Die Räume für die Vorträge waren meist bis auf den letzten Platz gefüllt, Menschen reisten aus allen Ecken Deutschlands an, um sich auszutauschen und weiterzubilden.
Gerade bei meinem eigenen Beitrag spürte ich eine unerwartete Resonanz. Ich sprach über das unsichtbare Erbe, das sich in unseren Familiensystemen verbirgt, und darüber, wie traumatische Erfahrungen und vererbte Glaubenssätze noch heute unser Handeln prägen. Als einzige Referentin mit psychologischem Hintergrund fühlte ich mich zunächst wie eine „Psychotante“ unter Chronist:innen. Doch das Publikum begegnete diesem Perspektivwechsel mit grosser Offenheit. Besonders gerührt hat mich das Interesse vieler Männer, die bereit waren, ihre eigene verletzliche Seite zu reflektieren. Oft erlebe ich in meiner Arbeit, dass vor allem Frauen nach Antworten suchen. Umso bewegender war es, hier Männer zu treffen, die sich den Schmerz ihrer Eltern und Grosseltern bewusst machten und Wege zur Heilung suchten.
Die Tage in Frankfurt vergingen für mich wie im Gespräch. Immer wieder stellten Besucher:innen tiefgehende Fragen, erzählten von ihren Recherchen und suchten nach Büchern und Methoden, um das Unsichtbare im Stammbaum zu verstehen. Dabei wurde deutlich: Viele Genealogen forschen nicht nur aus historischem Interesse. Sie wollen besser verstehen, warum sie selbst so sind, wie sie sind, und hoffen, dass der Blick in die Vergangenheit innere Knoten löst.

Die Kraft der Sprache und das Geschenk der Begegnung

Eine weitere Erkenntnis dieser Tage war, wie sehr mich das Sprechen auf Deutsch erfüllt. Jahrelang habe ich vor allem russischsprachige Klientinnen beraten. Nun durfte ich erleben, dass mein eigenes Schmerzgedächtnis und meine Familiengeschichte mir helfen, Worte zu finden, die mein deutschsprachiges Publikum berühren. Vielleicht liegt darin die eigentliche Brücke: Wer die eigene Verletzlichkeit kennt, kann auch andere einladen, ihre Emotionen zu erforschen.
Das Besondere an diesem Genealogentag war nicht nur das Wissen, das geteilt wurde, sondern auch das Klima des Respekts. In den vergangenen Jahren wurde die psychologische Dimension der Ahnenforschung in manchen Kreisen eher belächelt. In Frankfurt hingegen war spürbar, dass sich ein Wandel vollzogen hat. Es herrschte eine neue Offenheit, über transgenerationale Traumata, unbewusste Familienmuster und die Last längst vergangener Ereignisse zu sprechen. Das Thema wurde weder exotisiert noch abgewertet. Vielmehr begegneten sich die Menschen mit Mut und Toleranz. Die Bereitschaft wuchs, das Unsichtbare sichtbar zu machen und Schuld, Scham oder Trauer zu verwandeln, statt sie wie einen Koffer ohne Griff von Generation zu Generation weiterzutragen.

Ein Aufbruch in die Zukunft

Der 75. Deutsche Genealogentag hinterlässt bei mir ein Gefühl tiefer Dankbarkeit. Dankbarkeit für die Begegnungen, für das Vertrauen der Zuhörer:innen und für die Möglichkeit, meine Expertise einzubringen. Vor allem aber spüre ich Vorfreude auf das, was noch kommt. Die Gespräche und Fragen aus Frankfurt klingen in mir nach und inspirieren mich, weiter zu forschen, zu schreiben und Räume für die Heilung historischer Wunden zu schaffen.
Ich bin überzeugt, dass dieser Genealogentag nicht nur mich, sondern auch das gesamte Netzwerk geprägt hat. Wo früher oft nur Fakten gesammelt wurden, wächst nun das Bewusstsein, dass auch Gefühle, Muster und Erfahrungen Teil der Familiengeschichte sind. Diese Erweiterung macht die Genealogie noch wertvoller – für unsere Identität heute und für die Generationen von morgen.

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Zwischen Kompromiss und Selbstverrat –
wie du lernst, klar "Ja" oder "Nein" zu sagen

20.08.2025

Book design is the art of incorporating the content, style, format, design, and sequence of the various components of a book into a coherent whole. In the words of Jan Tschichold, "Methods and rules that cannot be improved upon have been developed over centuries. To produce perfect books, these rules must be revived and applied." The front matter, or preliminaries, is the first section of a book and typically has the fewest pages.
Wie oft geben wir uns mit „halben Lösungen“ zufrieden, ohne es überhaupt zu merken? Manchmal denken wir, dass wir eine passende Entscheidung treffen – und erst später erkennen wir: Eigentlich haben wir unsere eigenen Wünsche verraten.

Ein kleiner Alltagsmoment mit großer Wirkung

Vor Kurzem brauchte ich einen neuen Satz Teller. Einige waren zerbrochen, und da ich Harmonie auf dem Tisch liebe, wollte ich ein komplettes Set – mindestens sechs, besser acht Teller.
Im Geschäft fand ich durch Zufall eine wunderschöne Butterdose. Genau so eine, nach der ich schon lange gesucht hatte. Und als ob es Schicksal wäre: die Teller, die mir gefielen, passten perfekt dazu.
Doch dann die Ernüchterung: In der Verpackung waren nur vier Teller, nicht sechs. Und die Butterdose kostete viermal so viel wie angekündigt – fast doppelt so teuer wie das gesamte Teller-Set.
Für einen Moment wollte ich trotzdem kaufen. „Sie ist so schön, und irgendwie passt ja alles zusammen.“ Aber tief in mir spürte ich: Diese Entscheidung macht mich nicht glücklich.
Ich ließ die Butterdose zurücklegen. Ein erster Schritt.
Doch die Teller nahm ich mit – und merkte schon zehn Schritte später: Du hast dich selbst verraten. Du hast dich mit einer halben Lösung zufriedengegeben.

Kompromiss oder Selbstverrat?

Wir alle kennen diese Momente. Wir entscheiden uns für etwas, das „fast passt“. Doch jedes Mal, wenn wir es benutzen oder anschauen, erinnert es uns daran, dass wir nicht bekommen haben, was wir wirklich wollten.
Warum tun wir das?
  • Aus Angst, unbequem zu wirken.
  • Aus Angst, abgelehnt oder kritisiert zu werden.
  • Weil wir gelernt haben, dass andere wichtiger sind als wir selbst.
Viele von uns tragen dieses Muster aus der Kindheit: die Angst vor Strafe, wenn wir nicht „brav“ oder „praktisch“ genug waren.
Doch die Wahrheit ist: Wenn wir versuchen, für alle anderen bequem zu sein, werden wir für uns selbst unbequem.

Das Recht auf ganzes Glück

Halbe Entscheidungen machen auf Dauer unzufrieden. Wir gewöhnen uns an das „Fast“, und wenn uns das „Ganz“ begegnet, greifen wir nicht zu – weil wir es nicht gewohnt sind.
An diesem Tag habe ich gelernt:
  • Ich will keine halben Sachen.
  • Ich will nicht auf Kompromisse eingehen, die mir nicht guttun.
  • Ich will warten, bis ich finde, was wirklich zu mir passt.
Und das gilt nicht nur für Teller.
Es gilt für Beziehungen, Arbeit, Geld, Träume, für das ganze Leben.

Wähle dich selbst. Immer.

Wenn du das nächste Mal spürst, dass du dabei bist, dich mit weniger zufriedenzugeben, halte inne und frage dich:
  • Ist das wirklich das, was ich will?
  • Oder ist es nur „fast richtig“?
  • Wie werde ich mich in einem Monat mit dieser Entscheidung fühlen?
Wenn die Antwort nicht klar ist: Dreh dich um. Warte. Suche weiter.
Deine „perfekten Teller“ – deine Arbeit, deine Liebe, dein erfülltes Leben – sind da draußen.
Nur eins: Gib dich nicht mit halben Sachen zufrieden.

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„Mama, warum hast du mich nicht genug geliebt?“

20.05.2025

Eine wahre Märchen-Geschichte für Erwachsene – über ein „ungeliebtes“ Kind, das glaubte, all seine Probleme lägen an zu wenig Liebe und Anerkennung der Eltern … und wie eine Begegnung alles veränderte.

„Willkommen, mein Kind“, sagte die Frau, „ich habe auf dich gewartet.“
„Wer bist du?“, fragte ich.
„Ich bin deine Urmutter, die erste Frau deiner Linie. Mein Name ist in den Jahrhunderten verloren gegangen. Nenn mich einfach ‚Mutter Ahnenkraft‘.“
Sie lächelte: „Frag mich, was du auf dem Herzen hast.“
„Ich habe Probleme“, sagte ich. „Ich bin ein ungeliebtes Kind. Mein Vater hat mich übersehen, meine Mutter war hart. Ich kann keine stabile Beziehung aufbauen, glaube an meine eigene Wertlosigkeit. Ich habe gedacht: Das liegt daran, dass meine Eltern mich nicht genug geliebt und gelobt haben.“
„Wie alt bist du?“
„Dreißig.“
„Und was hast du bisher getan, um das zu verändern?“
„Alles Mögliche. Bücher gelesen, Psycholog:innen besucht, Seminare gemacht, versucht, meinen Eltern zu verzeihen …“

„Wer sagt, dass sie dir etwas schulden?“

„Verzeihen … wofür?“ fragte die Urmutter.
„Na, für die fehlende Liebe. Sie hätten mich doch lieben müssen!“
„Ach, Kind … weißt du, wie viele Kinder aus liebevollen Familien trotzdem mit großen Wunden durchs Leben gehen? Es ist nicht so einfach. Du bist kein kleines Kind mehr – warum verhältst du dich noch so?“
Ich schwieg.
„Deine Eltern haben dich geboren, ernährt, erzogen, aufs Leben vorbereitet – und du meinst, sie schulden dir immer noch etwas?“
„Aber sie haben mich nicht gelobt, nicht gehalten, nicht unterstützt …“
Die Urmutter sah mich lange an: „Du sprichst von Leiden – aber kennst du Hunger, Krieg, Verlust? Nur aus Büchern? Dann komm, ich zeige dir etwas.“

Die Schatulle des Lichts

Sie holte eine unscheinbare Holzkassette hervor. Als sie den Deckel öffnete, strömte ein unbeschreibliches Licht heraus.
„Das ist die Liebe unserer Linie“, erklärte sie. „Ich habe sie gefüllt und weitergegeben, von Frau zu Frau. Dieses Erbe kann nicht verloren gehen – aber es muss gepflegt werden.“
„Ich habe so etwas nie bekommen!“
„Doch, jedes Mädchen bekommt diese Schatulle unsichtbar bei der Geburt. Aber manchmal ist sie verschlossen, mit Rost und Schlössern bedeckt. Dann ist es deine Aufgabe, sie zu öffnen und zu polieren.“
Sie zeigte mir Szenen aus der Vergangenheit meiner Linie: Krieg, Flucht, Gewalt, Frauen, die die Schatulle verstecken, weil sie selbst kaum überleben. Mütter, die zu erschöpft sind, um Liebe zu zeigen. Väter, die in Kälte und Alkohol flüchten.
Mir wurde klar: Meine Mutter konnte ihre Schatulle nicht öffnen. Und ich lebte weiter mit dem Glauben, ich sei „wertlos“ und „die Letzte in der Reihe“.

„Das Erbe ist schon da – öffne es!“

Die Urmutter sah mich an: „Du bist dreißig. Du hast dein ganzes Leben lang versucht, deiner Mutter zu beweisen, dass du anders bist. Du hast alles schon längst bewiesen. Dein Recht auf Existenz ist unbestreitbar. Die Liebe ist bereits da – in deiner Schatulle. Du musst sie nur öffnen.“
„Wie?“
„Mit Mitgefühl. Wenn du aufhörst, deine Vorfahren zu verurteilen, und stattdessen fühlst, wie sehr sie selbst entbehrt haben, dann öffnet sich die Schatulle und das Licht strömt in dein Leben.“
„Aber wer hat Mitgefühl für mich?“
„Solange du auf Mitleid wartest, bleibt die Schatulle verschlossen. Du bist erwachsen, du bist die Besitzerin des Erbes. Jetzt bist du dran.“
„Meine Mutter …“
„Deine Mutter ist, wie sie ist. Willst du warten, bis sie sich ändert – vielleicht nie? Dann geht dein Leben vorbei. Entscheide jetzt: Nimmst du die Schatulle oder nicht?“
„Ich nehme sie!“ rief ich.
„Du wirst die Erste sein, die das Licht der Liebe in eurer Linie wieder erweckt.“

Die Verwandlung

Plötzlich hielt ich die Schatulle wirklich in meinen Händen – warm, schwer, leuchtend. Ich spürte Mitgefühl wie nie zuvor, weinte all den alten Schmerz heraus. Mit jeder Träne verließen mich die Vorwürfe, die Enttäuschung, das Gefühl von Nichtgeliebtsein.
Als ich „zurückkam“, fühlten sich meine Hände immer noch so an, als hielten sie die Schatulle.
Seitdem bin ich anders. Ich spüre, dass das Licht bei mir ist. Ich erinnere mich an die Worte der Urmutter: „Du wirst die erste Frau in deiner Linie sein, die wirklich glücklich ist.“
Meine Mutter ist, wie sie ist. Und ich bin, wer ich bin. Ich will die Schatulle meiner Tochter weitergeben – gefüllt mit Licht und Liebe. Wer, wenn nicht ich, soll sie füllen?

Deine eigene Schatulle

Vielleicht hast du dich in dieser Geschichte wiedererkannt. Vielleicht glaubst auch du, dass du „nicht genug geliebt“ wurdest. Vielleicht wartest du noch auf die Anerkennung, die du verdienst.
Die Wahrheit ist: Das Erbe ist schon da. Dein Schlüssel heißt Mitgefühl.
Und manchmal hilft es, wenn dich jemand auf diesem Weg begleitet – damit du deine eigene Schatulle öffnen kannst.
Ich begleite Menschen genau auf diesem Weg: alte Muster zu erkennen, zu verstehen und loszulassen, um das eigene Licht freizusetzen.
📩 Wenn dich das anspricht, schreib mir oder nimm an meinem nächsten Gruppentreffen teil. Gemeinsam öffnen wir den Raum für dein eigenes Erbe.
Ich bin Evgenia Fuchs, psychologische Beraterin mit Schwerpunkt auf Familien- und Ahnensystemen sowie Spezialistin für das transgenerationale Unbewusste. In meinem Blog teile ich Impulse und Geschichten, die Mut machen, alte Muster loszulassen und die eigene Kraftquelle wiederzuentdecken. Wenn Sie sich in diesem Text wiedererkannt haben, lade ich Sie herzlich ein: Schreiben Sie mir, nehmen Sie an einem Gruppentreffen teil oder buchen Sie ein persönliches Gespräch. Gemeinsam finden wir den Weg zu Ihrer ganzen Geschichte – und zu Ihrem ganzen Glück.
Schreiben Sie mir jederzeit,
wenn Sie Fragen haben
Evgenia Fuchs Rollheiser
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